Abstract: Die Bekanntmachung neuer Empfehlungen und Referenzwerte für die Gesamtkonzentration flüchtiger organischer Verbindungen (TVOC) durch das Umweltbundesamt (UBA) und den Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) im Jahr 2025 markiert einen bedenklichen Schritt in der Bewertung der Innenraumluftqualität. Der folgende Beitrag analysiert die neuen Referenzwerte kritisch im Spannungsfeld mit dem zunehmenden Einsatz von Holz- und Hybridbauweisen, die einen wesentlichen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Beleuchtet werden potenzielle juristische und wirtschaftliche Herausforderungen durch die strengeren Zielwerte sowie die Notwendigkeit einer wissenschaftlich fundierten und praxistauglichen Anpassung der Richtlinien unter Berücksichtigung natürlicher Emissionen aus Holz. Zudem werden methodische Aspekte der VOC-Messung und Möglichkeiten zur Fehlervermeidung in Labor und Feld thematisiert. Der TVOC-Referenzwert gilt unter Fachkreisen als ungeeignete Bewertungsgrundlage. Durch eine Abschaffung der unbegründeten TVOC-Referenzwerte und eine Neuregelung der holztypischen VOC-Einzelstoffrichtwerte könnten klein- und mittelständischen Holzbaubetriebe vor möglichen vertragsrechtlichen Problemstellungen geschützt werden. Es wird im Artikel untersucht, ob dieser Wettbewerbsnachteil aufgrund möglicherweise fachlich unbegründeten Richtwerten für den als unbedenklich wahrgenommenen holztypischen „Geruch“ durch beispielsweise Terpene die Kiefernholzwirtschaft beeinträchtigen könnte. Die Frage, ob die Forderung der Wald- und Holzwirtschaft nach einer Abschaffung dieser Hemmnisse berechtigt ist, gewinnt angesichts der erheblichen Reduktion der für die Bauwirtschaft wichtigen Fichtenbestände durch den Klimawandel an Bedeutung.

1. Einleitung: Nachhaltigkeit im Bauwesen und die Rolle der Innenraumluftqualität

Holz- und Holzhybridbauweisen gewinnen angesichts des Klimawandels und der Ressourcenknappheit zunehmend an Bedeutung für ein nachhaltiges Bauwesen (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz). Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe wie Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft und recycelter Materialien ist ein zentraler Baustein dieser Entwicklung. Nationale und landesrechtliche Verankerungen der Nachhaltigkeit, insbesondere Artikel 20a GG, unterstreichen die Notwendigkeit, ökologische Belange im wirtschaftlichen Handeln zu berücksichtigen und unbegründete Handels- oder Bauhemmnisse für nachhaltige Bauweisen zu vermeiden.
Die Qualität der Innenraumluft spielt eine entscheidende Rolle für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Gebäudenutzer. Die neuen TVOC-Referenzwerte des UBA/AIR (Bekanntmachung im Bundesgesundheitsblatt 2-2025) sollen eine Grundlage für die Bewertung chemischer Innenraumluftverunreinigungen bieten und lösen die bisherige, mehrstufige TVOC-Einstufung ab. Während diese Empfehlungen grundsätzlich zur Verbesserung der Innenraumluftqualität beitragen sollen, bergen die strengeren Zielwerte und das Festhalten am TVOC Referenz- und Zielwert potenzielle Konflikte mit dem Nachhaltigkeitsgebot und der Praktikabilität im Bauwesen, insbesondere im Hinblick auf die juristische Bewertung natürlicher Emissionen aus Holz.

2. Die neuen UBA/AIR-Referenzwerte für TVOC: Eine kritische Analyse

Der neue UBA/AIR-Leitfaden von 2025 reduziert die Anzahl der empfohlenen Summenwerte für TVOC auf zwei. Der Referenzwert von 950 µg/m³ basiert auf dem 95. Perzentil der GerES V-Studie (2014-2017- Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit), die VOC-Konzentrationen in Aufenthaltsräumen von Wohngebäuden mit Kindern und Jugendlichen untersuchte (Umweltbundesamt, 2025, S. 198). Ergänzend wird das 50. Perzentil (Median) von 270 µg/m³ als Orientierungswert genannt.

Kritische Punkte:

3. Vermeidung von Fehlern bei VOC-Raumluftmessungen

Die korrekte Durchführung von VOC-Raumluftmessungen ist entscheidend, um valide Ergebnisse zu erhalten. Fehler können sowohl im Labor bei der Analyse als auch vor Ort bei der Probenahme auftreten.

3.1 Laborfehler und deren Vermeidung:

Bei der Analyse mittels GC/MS oder HPLC können folgende Fehler auftreten (vgl. Adedeji et al., 2020; Lee et al., 2021):

3.2 Fehlervermeidung bei der Probenahme:

Auch bei der Probenahme vor Ort sind Fehlerquellen zu beachten (Brown, 2017):

4. Natürliche Emissionen (z.B. aus Holz) im Kontext der bestehenden Rechtsgrundlagen kritisch betrachtet – Stand der Diskussion:

5. Ausblick und Empfehlungen

Es ist entscheidend, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Schutz der Gesundheit und der Umwelt sowie den wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen der TVOC-Referenzwerte zu finden. Für die Bewertung von Holzgebäuden wäre eine differenziertere Unterscheidung von nachweislich gefährlichen VOC und natürlichen VOC wie Terpenen unbedingt nötig, da schon jetzt genügend wissenschaftliche Erkenntnisse über die Unbedenklichkeit von Terpenen aus Naturholz vorliegen. Die aktuellen TVOC-Referenzwerte sollten abgeschafft werden und auch nicht als Zielwerte im Bauvertrag übernommen werden. Es wird gefordert, den aktuellen, strengen VOC-RW1 für natürliche Emissionen wie beispielsweise Terpene zu streichen und durch den VOC-RW2 zu ersetzen. Andernfalls besteht Forschungsbedarf zu den Risikobewertungen von Terpenen, um gerechtere und umsetzbare Vorschriften für Bauschaffende zur Verfügung zu stellen und um Verbraucher und Bauwillige nicht zu verunsichern. Ebenso wichtig ist die Förderung emissionsarmer Naturbaustoffe, um die Transformation im Bausektor zu unterstützen, die Kiefer zu fördern und dem Klimawandel entgegenzuwirken.

5. Fazit

Die neuen TVOC-Refenzwerte vom UBA/AIR stellen ein fragwürdiges Instrument zur Bewertung der Innenraumluftqualität dar, und sollten wegen ihrer rechtlichen Problematik hinsichtlich Gütesiegeln oder Werkverträgen überdacht werden. Praxisstudien zeigen, dass der Einbau von Lüftungsanlagen den Terpen- oder TVOC-Wert zwar vermindern kann, Holzgebäude ohne Lüftungsanlagen jedoch erhöhte Terpen- und TVOC-Werte aufweisen. Den gleichen Effekt kann man bei fehlerhaften Messraumvorbereitungen beobachten. Daraus schlussfolgernd ist eine kritische Auseinandersetzung mit juristischen, wirtschaftlichen und methodischen Herausforderungen wegen aktueller Rechtsstreitfälle unerlässlich, insbesondere im Kontext des nachhaltigen Bauens mit Holz. Eine wissenschaftlich fundierte Anpassung der Richt- und Zielwerte bezüglich der gesundheitlichen Auswirkungen von natürlichen und primären Holzemissionen ist unaufschiebbar. Standardisierte Messmethoden, die von allen Gutachtern eingehalten werden sollten, können Messwertverfälschungen minimieren. Auch die Vermeidung von Fehlern im Labor oder im zu messenden Gebäude ist entscheidend, um unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und eine stressfreiere Bauabnahme für Holz- und Holzhybridbauten zu gewährleisten. Die Bewertungssysteme „Nachhaltiges Bauen“ (BNB, DGNB, BiRN) und deren Zielkriterium „Innenraumhygiene“ basieren auf dem UBA/AIR TVOC-Richtwertkonzept. Bei fehlerhaften Raumluftmessungen können auch bei diesen QNG-Förderprogrammen Holzgebäude benachteiligt werden, wenn die im Werkvertrag vereinbarten Qualitätsziele, insbesondere die angestrebte Punktezahl bezüglich der Innenraumlufthygiene, nicht erreicht werden.
Im Holz- und Holzhybridbau muss Fichtenholz zukünftig aufgrund der erheblichen Verluste durch Schädlings- und Trockenheitsschäden zunehmend durch Kiefernholz ersetzt werden. Die Nutzung von Kiefernholz ist in den letzten Jahren durch die Diskussion um eine vermeintlich gesundheitsgefährdende Wirkung von Terpenen zurückgegangen. Dies steht im Widerspruch zum aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik, da Erkenntnisse vorliegen, die eine unbedenkliche Verwendung von Kiefernholz nahelegen. Hierzu besteht weiterhin Forschungsbedarf.
Zusammenfassung der Hauptkritikpunkte an den TVOC-Referenzwerten:


Autor: Karl-Heinz Weinisch

Literaturverzeichnis:
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GerES V – Die Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit vom Umweltbundesamt (UBA) und Robert Koch-Institut (RKI) von Kindern und Jugendlichen 2014-2017 konzentrierte sich auf die häusliche Umgebung der 2.731 Kinder und Jugendliche. Im Rahmen der Innenraumluftmessungen wurden demnach verschiedene Arten von Wohngebäuden untersucht.