Abstract: Die Bekanntmachung neuer Empfehlungen und Referenzwerte für die Gesamtkonzentration flüchtiger organischer Verbindungen (TVOC) durch das Umweltbundesamt (UBA) und den Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) im Jahr 2025 markiert einen bedenklichen Schritt in der Bewertung der Innenraumluftqualität. Der folgende Beitrag analysiert die neuen Referenzwerte kritisch im Spannungsfeld mit dem zunehmenden Einsatz von Holz- und Hybridbauweisen, die einen wesentlichen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Beleuchtet werden potenzielle juristische und wirtschaftliche Herausforderungen durch die strengeren Zielwerte sowie die Notwendigkeit einer wissenschaftlich fundierten und praxistauglichen Anpassung der Richtlinien unter Berücksichtigung natürlicher Emissionen aus Holz. Zudem werden methodische Aspekte der VOC-Messung und Möglichkeiten zur Fehlervermeidung in Labor und Feld thematisiert. Der TVOC-Referenzwert gilt unter Fachkreisen als ungeeignete Bewertungsgrundlage. Durch eine Abschaffung der unbegründeten TVOC-Referenzwerte und eine Neuregelung der holztypischen VOC-Einzelstoffrichtwerte könnten klein- und mittelständischen Holzbaubetriebe vor möglichen vertragsrechtlichen Problemstellungen geschützt werden. Es wird im Artikel untersucht, ob dieser Wettbewerbsnachteil aufgrund möglicherweise fachlich unbegründeten Richtwerten für den als unbedenklich wahrgenommenen holztypischen „Geruch“ durch beispielsweise Terpene die Kiefernholzwirtschaft beeinträchtigen könnte. Die Frage, ob die Forderung der Wald- und Holzwirtschaft nach einer Abschaffung dieser Hemmnisse berechtigt ist, gewinnt angesichts der erheblichen Reduktion der für die Bauwirtschaft wichtigen Fichtenbestände durch den Klimawandel an Bedeutung.
1. Einleitung: Nachhaltigkeit im Bauwesen und die Rolle der Innenraumluftqualität
Holz- und Holzhybridbauweisen gewinnen angesichts des Klimawandels und der Ressourcenknappheit zunehmend an Bedeutung für ein nachhaltiges Bauwesen (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz). Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe wie Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft und recycelter Materialien ist ein zentraler Baustein dieser Entwicklung. Nationale und landesrechtliche Verankerungen der Nachhaltigkeit, insbesondere Artikel 20a GG, unterstreichen die Notwendigkeit, ökologische Belange im wirtschaftlichen Handeln zu berücksichtigen und unbegründete Handels- oder Bauhemmnisse für nachhaltige Bauweisen zu vermeiden.
Die Qualität der Innenraumluft spielt eine entscheidende Rolle für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Gebäudenutzer. Die neuen TVOC-Referenzwerte des UBA/AIR (Bekanntmachung im Bundesgesundheitsblatt 2-2025) sollen eine Grundlage für die Bewertung chemischer Innenraumluftverunreinigungen bieten und lösen die bisherige, mehrstufige TVOC-Einstufung ab. Während diese Empfehlungen grundsätzlich zur Verbesserung der Innenraumluftqualität beitragen sollen, bergen die strengeren Zielwerte und das Festhalten am TVOC Referenz- und Zielwert potenzielle Konflikte mit dem Nachhaltigkeitsgebot und der Praktikabilität im Bauwesen, insbesondere im Hinblick auf die juristische Bewertung natürlicher Emissionen aus Holz.
2. Die neuen UBA/AIR-Referenzwerte für TVOC: Eine kritische Analyse
Der neue UBA/AIR-Leitfaden von 2025 reduziert die Anzahl der empfohlenen Summenwerte für TVOC auf zwei. Der Referenzwert von 950 µg/m³ basiert auf dem 95. Perzentil der GerES V-Studie (2014-2017- Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit), die VOC-Konzentrationen in Aufenthaltsräumen von Wohngebäuden mit Kindern und Jugendlichen untersuchte (Umweltbundesamt, 2025, S. 198). Ergänzend wird das 50. Perzentil (Median) von 270 µg/m³ als Orientierungswert genannt.
Kritische Punkte:
- Wissenschaftsbasierte Zusammenfassung von Prof. Salthammer zu den Eigenschaften des TVOC-Wertes und Empfehlungen zur Anwendung/Nichtanwendung: TVOC-Referenzwert ist ungeeignet für gesundheitliche und geruchliche Bewertung der Innenraumluftqualität, weil nicht einheitlich definiert, verschiedene Verbindungen haben unterschiedliche analytische Responsefaktoren, verschiedene Verbindungen haben unterschiedliche toxikologische Endpunkte, Referenzdaten sind oft nicht verfügbar, Risiko von Fehlinterpretationen. (s. Anhang-Literatur Nr. 13)
- Juristische Problematik und potenzielle Gefährdung der Bauwirtschaft: Obwohl die UBA/AIR-Empfehlungen keine rechtsverbindlichen Grenzwerte darstellen, zeigt die Praxis, dass sie häufig als Zielwerte in Bauverträgen, Zertifizierungsverfahren und raumluftqualitativen Gutachten Anwendung finden. Dies führt faktisch zur Etablierung vertraglicher Grenzwerte, deren Überschreitung bei der Bauabnahme rechtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen kann. Die neuen TVOC-Referenzwerte basieren laut UBA/AIR auf Daten der Studie GerES V (Anlage Nr. 14), die mittels TVOC-Passivsammler-Messungen in bewohnten Räumen erhoben wurden. Es ist jedoch anzumerken, dass passive Sammler primär semi-quantitative und keine quantitativ abgesicherten Daten für eine statistisch valide Bewertung liefern. Solche Messungen unterliegen keiner umfassenden Standardisierung und können durch nutzerbedingte Emissionen, Ausgasungen von Möbeln sowie Schwankungen der klimatischen Bedingungen beeinflusst werden, was die Zuverlässigkeit als Grundlage für verbindliche Zielwerte in Frage stellt. Da die GerES V-Studie auf einem statistischen Stichprobenverfahren beruhte, ist es plausibel, dass die Anzahl der untersuchten Holzgebäude signifikant von der Anzahl der Steinhäuser abwich. Dies könnte potenziell zu einer verzerrten Mittelwertermittlung der TVOC-Konzentrationen führen, insbesondere wenn Holzbaumaterialien tendenziell andere VOC-Emissionsprofile aufweisen als mineralische Baustoffe. Die Tatsache, dass die neuen TVOC-Referenzwerte nicht auf Basis von normgerechten, standardisierten und validierten Aktiv-Probenahmemethoden gemäß beispielsweise ISO 16000 ermittelt wurden, schmälert ihre juristische Belastbarkeit und birgt somit Risiken für die Bauwirtschaft im Falle von Streitigkeiten.
- Nachhaltigkeitsgebot und natürliche Emissionen: Strenge TVOC-Referenzwerte können ohne fachlich begründbare Notwendigkeit den Einsatz emissionsärmerer, potenziell teurerer Baustoffe und Technologien erforderlich machen und somit die Baukosten erhöhen. Das wird die Wettbewerbsfähigkeit von Bauunternehmen beeinträchtigen und die Materialauswahl einschränken. Insbesondere die rechnerische Einbeziehung natürlicher VOC (nVOC) aus Holz, wie Terpene, in den TVOC-Summenwert stellt eine Herausforderung dar, da diese in üblichen Konzentrationen nachweislich keine Gesundheitsgefährdung darstellen. Da diese Emissionen inhärent vor allem im Holz vorhanden sind und in mineralischen Baustoffen fehlen, entsteht eine ungleiche Behandlung. Eine Harmonisierung der baurechtlichen Zielwerte und Zertifizierungsverfahren unter Berücksichtigung dieser natürlichen Emissionen ist notwendig, um den vermehrten Einsatz pflanzenbasierter Materialien zu fördern und unbegründete Hemmnisse abzubauen. Gerade Kiefernarten, insbesondere die Waldkiefer und die Schwarzkiefer, zeigen eine hohe Stresstoleranz gegenüber Trockenheit. Angesichts des Fichtesterbens und der prognostizierten Auswirkungen des Klimawandels mit zunehmenden Dürreperioden könnte dies die Kiefer (harzreich und daher folgerichtig eine höhere Abgabe von VOC) zu einer widerstandsfähigeren und damit zukunftssicheren Baumart für die Bau- und Forstwirtschaft machen.
- Klimaschwankungen und Messunsicherheiten: Die Messung von VOC-Emissionen (Einzelstoffbetrachtung) ist komplex und anfällig für klimatische Einflüsse wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Bereits geringe Schwankungen können die VOC-Konzentrationen signifikant beeinflussen und somit die Aussagekraft von Einzelmessungen beeinträchtigen. Der aktuelle Leitfaden berücksichtigt diese Problematik unzureichend. Zudem werden Querempfindlichkeiten durch andere VOC oder Emissionsbeschleuniger wie Peroxide sowie der Einfluss von Mikropartikeln und Aerosolen nicht ausreichend thematisiert.
- Rechtswirksamkeit und Schutz vulnerabler Gruppen: Um besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen zu schützen, sollten spezifische gesundheitsspezifische Anforderungen idealerweise schon im Werkvertrag verankert werden. Dies ermöglicht eine zielgerichtete Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse, ohne die Existenz von Handwerksbetrieben durch überzogene, pauschale Anforderungen zu gefährden. Die wissenschaftliche Forschung deutet darauf hin, dass natürliche VOC aus Holz bei normal empfindlichen Personen keine toxikologischen Effekte hervorrufen. (Anlage Nr. 12 GesundHolz Studie)
- Wissenschaftliche und juristische Anpassung: Die Dynamik der Innenraumluftchemie erfordert eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung aller „Referenz- und Richtwerte für die Innenraumluft“ (UBA/AIR) auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Naturwissenschaften, Forschung und Entwicklung, Rechtswissenschaft, Medizin und Politik, ist hierfür unerlässlich.
- Messmethoden und Standardisierung: Die Vergleichbarkeit von Messergebnissen erfordert standardisierte Messmethoden und eine präzise Vorbereitung der Klima- und Messraumbedingungen. Die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Messungen sind fundamental für eine vergleichbare Bewertung der Innenraumluftqualität. Labortechnische Ungenauigkeiten müssen dabei berücksichtigt und minimiert werden.
3. Vermeidung von Fehlern bei VOC-Raumluftmessungen
Die korrekte Durchführung von VOC-Raumluftmessungen ist entscheidend, um valide Ergebnisse zu erhalten. Fehler können sowohl im Labor bei der Analyse als auch vor Ort bei der Probenahme auftreten.
3.1 Laborfehler und deren Vermeidung:
Bei der Analyse mittels GC/MS oder HPLC können folgende Fehler auftreten (vgl. Adedeji et al., 2020; Lee et al., 2021):
- Kontamination: Verwendung unsauberer Probenahmebehälter oder kontaminierter Lösungsmittel. Vermeidung: Einsatz zertifizierter, gereinigter Materialien und regelmäßige Qualitätskontrollen der Reagenzien.
- Verluste durch Flüchtigkeit: Unsachgemäße Handhabung oder Lagerung der Proben. Vermeidung: Schneller Transport und Lagerung bei geeigneten Bedingungen (z.B. niedrige Temperatur, gefüllte Behälter).
- Matrixeffekte: Störungen durch andere Substanzen in der Probe. Vermeidung: Geeignete Probenvorbereitungstechniken (z.B. Festphasenextraktion) und interne Standards.
- Instrumentenkalibrierung: Ungenaue Kalibrierung des Analysegeräts. Vermeidung: Regelmäßige Kalibrierung mit zertifizierten Referenzmaterialien und Erstellung präziser Kalibrierkurven.
- Chromatographische Probleme: Unvollständige Trennung der VOCs. Vermeidung: Optimierung der chromatographischen Bedingungen (Säule, Temperaturprogramm, mobile Phase).
- Massenspektrometrische Fehler: Falsche Identifizierung oder instabile Ionenquellen. Vermeidung: Verwendung aktueller Spektrenbibliotheken und regelmäßige Wartung der Ionenquelle.
- Auswertungsfehler: Fehlerhafte Peak-Integration oder Datenverarbeitung. Vermeidung: Sorgfältige manuelle Überprüfung der Integration und korrekte Anwendung von Kalibrierfaktoren.
- Menschliche Fehler und Gerätefehler: Vermeidung: Schulung des Personals, Einhaltung standardisierter Protokolle und regelmäßige Wartung der Geräte.
Daher wird empfohlen, dass bei Richtwertüberschreitungen generell Mehrfach-Nachmessungen durchgeführt werden sollten, die dann in verschiedenen Laboren ausgewertet werden können.
3.2 Fehlervermeidung bei der Probenahme:
Auch bei der Probenahme vor Ort sind Fehlerquellen zu beachten (Brown, 2017):
- Falscher Zeitpunkt: Messung unmittelbar nach Lüften oder Reinigen oder lösemittelintensiven Restarbeiten mit Dicht-, Beschichtungs- oder Klebstoffen. Vermeidung: Messung unter repräsentativen Nutzungsbedingungen nach einer ausreichenden Trocknungs- oder Stabilisierungsphase.
- Unzureichende Messdauer: Vermeidung: Einhaltung empfohlener Messzeiten für die jeweilige Methode.
- Zu wenige Proben: Vermeidung: Entnahme mehrerer Proben in verschiedenen Räumen und in allen Stockwerken.
- Vernachlässigung der Rahmenbedingungen: Schwankende oder unzulässige Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Luftwechselraten und ein hohes Feinstaubaufkommen. Vermeidung: Messung der Staub- und Klimaparameter mit Datenloggerfunktion. Dokumentation und möglichst konstante Haltung der Rahmenbedingungen während der Messung.
- Mangelnde Vorbereitung: Falscher Zeitpunkt, fehlerhaft eingestellte Lüftungsanlagen, kein Lüftungsfilterwechsel, Reinigeremissionen, Vernachlässigung der Verarbeitungsvorschriften bzgl. Auftragsmengen und Trocknungszeiten, Lösemitteleinsatz durch Handwerker kurz vor Messungen. Vermeidung: Genaue Absprachen/Kommunikation, sorgfältige Planung, Information und gegebenenfalls Schulung des Messpersonals.
Ist eine geringfügige Messwertüberschreitung lediglich hygienisch auffällig oder bereits extrem gesundheitsbelastend? Gutachter können nicht nachgewiesene Gesundheitsgefahren in ihrem Berichtsvokabular verwenden, was zu falschen Schlussfolgerungen bei Laien und Rechtsvertretern führen kann. Die Mittel- oder Perzentilwerte (UBA/AIR TVOC Referenzwerte gemäß GerES V-Studie von 2014-2017- Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit) sind für Neubauten nicht repräsentativ, da sie im undefinierten Nutzungszustand erhoben wurden. Zudem wurden sie meist nicht in Holz- oder Holzhybridgebäuden, sondern in Steingebäuden ermittelt. Wurden solche (VOC)Richt- oder (TVOC)Referenzwerte im Werkvertrag als Zielwerte vereinbart, könnten sie im Streitfall als „Pflicht- und Grenzwerte“ interpretiert werden, was sich für Bauunternehmen als existenzbedrohend auswirken könnte. Kommt es zu einer Zielwertüberschreitung oder soll eine solche vermieden werden, dann wird Bauschaffenden empfohlen, sich von einem holzbauerfahrenen Experten für Raumluftqualität beraten zu lassen.
4. Natürliche Emissionen (z.B. aus Holz) im Kontext der bestehenden Rechtsgrundlagen kritisch betrachtet – Stand der Diskussion:
- Die Unterscheidung zwischen anthropogenen und biogenen VOC: Problematisch ist die Gleichbehandlung von nachweislich umweltgefährlichen anthropogenen VOC, wie Benzol, mit tendenziell weniger bedenklichen natürlichen VOC (nVOC) in geringen Konzentrationen im Summenwert.
- Die Relevanz von Summenwerten (TVOC): Kritisiert wird, dass, obwohl der TVOC-Wert keinen gesundheitlichen Bezug hat und darüber hinaus auch natürliche Emissionen oft undifferenziert mit potenziell schädlichen VOC in der Zusammenfassung gleichgestellt sind, was zu einer irreführenden Bewertung der Innenraumluftqualität in Holzbauten führen kann. Natürliche VOC wie Terpene haben andere toxikologische Profile und geringere gesundheitliche Relevanz in den üblicherweise auftretenden Konzentrationen (<RW2). (Literatur Anlage Nr. 12, GesundHolz Studie 2019)
- VOC-Richtwerte in der EU: Bei Bauprodukteprüfungen (Europäische Bauproduktenverordnung-BauPVO, EN 16516) zählen die toxikologisch abgeleiteten EU-LCI Richtwerte die mit den RW2 in der VOC Richtwerttabelle übereinstimmen. Für nVOC wie die Terpene aus Weichholz wird eine Anpassung der RW1 an die LCI-Richtwerte gefordert, da eine Gesundheitsgefährdung unterhalb dieser Richtwerte ausgeschlossen werden kann.
- Die Problematik einer subjektiven Geruchswahrnehmung: Natürliche VOC können auch bei niedrigen Konzentrationen wahrnehmbare Gerüche verursachen, die fälschlicherweise als gesundheitsschädlich interpretiert werden können, obwohl wissenschaftliche Belege für eine tatsächliche Gesundheitsgefährdung fehlen. Die bestehenden Richtwerte berücksichtigen die Geruchsschwelle oft nicht ausreichend im Verhältnis zur tatsächlichen Gesundheitsrelevanz.
- Werkvertragsrecht und Mängelhaftung: Es bleibt ungewiss, wie die unspezifischen und abzulehnenden TVOC-Referenzwerte im Werkvertragsrecht angewendet werden und ob natürliche Emissionen (z.B. Terpene) aus Holz als Mangel im Sinne des BGB/VOB gewertet werden können. Daher wird zum Schutz der Unternehmen angeraten, keine nVOC-Richtwerte und keine TVOC-Referenzwerte als Zielwerte einzufordern. Diese Empfehlung gilt auch für die QNG/BNB/DGNB Zielvorgaben und deren Innenraumrichtwerte.
- Beweislast und Kausalität: Die Beweisführung von Gesundheitsschäden, die angeblich auf natürliche Emissionen aus Holz zurückzuführen sind, ist schwierig. Die pauschale Anwendung von VOC-Richt- und Referenzwerten kann die Beweislast unverhältnismäßig verschieben.
- Die Rolle von Gutachtern: Es sollte bedacht werden, dass Gutachter ohne spezifische Kenntnisse der Emissionen von Holz und ohne klare rechtliche Vorgaben für deren Bewertung zu fehlerhaften Schlussfolgerungen gelangen können, was zu unnötigen und unverhältnismäßigen Rechtsstreitfällen führen könnte und Handwerkerunternehmen in deren Existenz gefährden.
- Verhältnis zur Bauproduktenverordnung (BauPVO): Die BauPVO regelt die Inverkehrbringung von Bauprodukten hinsichtlich ihrer Emissionen. Kritisch diskutiert wird, ob die bestehenden Prüfverfahren und Grenzwerte die spezifischen Eigenschaften und Emissionen von Holz ausreichend berücksichtigen.
5. Ausblick und Empfehlungen
Es ist entscheidend, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Schutz der Gesundheit und der Umwelt sowie den wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen der TVOC-Referenzwerte zu finden. Für die Bewertung von Holzgebäuden wäre eine differenziertere Unterscheidung von nachweislich gefährlichen VOC und natürlichen VOC wie Terpenen unbedingt nötig, da schon jetzt genügend wissenschaftliche Erkenntnisse über die Unbedenklichkeit von Terpenen aus Naturholz vorliegen. Die aktuellen TVOC-Referenzwerte sollten abgeschafft werden und auch nicht als Zielwerte im Bauvertrag übernommen werden. Es wird gefordert, den aktuellen, strengen VOC-RW1 für natürliche Emissionen wie beispielsweise Terpene zu streichen und durch den VOC-RW2 zu ersetzen. Andernfalls besteht Forschungsbedarf zu den Risikobewertungen von Terpenen, um gerechtere und umsetzbare Vorschriften für Bauschaffende zur Verfügung zu stellen und um Verbraucher und Bauwillige nicht zu verunsichern. Ebenso wichtig ist die Förderung emissionsarmer Naturbaustoffe, um die Transformation im Bausektor zu unterstützen, die Kiefer zu fördern und dem Klimawandel entgegenzuwirken.
5. Fazit
Die neuen TVOC-Refenzwerte vom UBA/AIR stellen ein fragwürdiges Instrument zur Bewertung der Innenraumluftqualität dar, und sollten wegen ihrer rechtlichen Problematik hinsichtlich Gütesiegeln oder Werkverträgen überdacht werden. Praxisstudien zeigen, dass der Einbau von Lüftungsanlagen den Terpen- oder TVOC-Wert zwar vermindern kann, Holzgebäude ohne Lüftungsanlagen jedoch erhöhte Terpen- und TVOC-Werte aufweisen. Den gleichen Effekt kann man bei fehlerhaften Messraumvorbereitungen beobachten. Daraus schlussfolgernd ist eine kritische Auseinandersetzung mit juristischen, wirtschaftlichen und methodischen Herausforderungen wegen aktueller Rechtsstreitfälle unerlässlich, insbesondere im Kontext des nachhaltigen Bauens mit Holz. Eine wissenschaftlich fundierte Anpassung der Richt- und Zielwerte bezüglich der gesundheitlichen Auswirkungen von natürlichen und primären Holzemissionen ist unaufschiebbar. Standardisierte Messmethoden, die von allen Gutachtern eingehalten werden sollten, können Messwertverfälschungen minimieren. Auch die Vermeidung von Fehlern im Labor oder im zu messenden Gebäude ist entscheidend, um unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und eine stressfreiere Bauabnahme für Holz- und Holzhybridbauten zu gewährleisten. Die Bewertungssysteme „Nachhaltiges Bauen“ (BNB, DGNB, BiRN) und deren Zielkriterium „Innenraumhygiene“ basieren auf dem UBA/AIR TVOC-Richtwertkonzept. Bei fehlerhaften Raumluftmessungen können auch bei diesen QNG-Förderprogrammen Holzgebäude benachteiligt werden, wenn die im Werkvertrag vereinbarten Qualitätsziele, insbesondere die angestrebte Punktezahl bezüglich der Innenraumlufthygiene, nicht erreicht werden.
Im Holz- und Holzhybridbau muss Fichtenholz zukünftig aufgrund der erheblichen Verluste durch Schädlings- und Trockenheitsschäden zunehmend durch Kiefernholz ersetzt werden. Die Nutzung von Kiefernholz ist in den letzten Jahren durch die Diskussion um eine vermeintlich gesundheitsgefährdende Wirkung von Terpenen zurückgegangen. Dies steht im Widerspruch zum aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik, da Erkenntnisse vorliegen, die eine unbedenkliche Verwendung von Kiefernholz nahelegen. Hierzu besteht weiterhin Forschungsbedarf.
Zusammenfassung der Hauptkritikpunkte an den TVOC-Referenzwerten:
- Mangelnde Aussagekraft über Einzelstoffe: Der TVOC-Wert ist eine Summe vieler verschiedener VOCs. Diese haben jedoch sehr unterschiedliche gesundheitliche Auswirkungen. Ein niedriger TVOC-Wert kann trotzdem hohe Konzentrationen einzelner, gesundheitsschädlicher Stoffe verbergen, während ein höherer TVOC-Wert aus relativ harmlosen Substanzen bestehen kann. Die reine TVOC-Messung sagt also wenig über das tatsächliche gesundheitliche Risiko aus.
- Unterschiedliche Flüchtigkeit und Messbarkeit: VOCs umfassen eine breite Palette von Substanzen mit unterschiedlicher Flüchtigkeit. Die standardisierten Messverfahren erfassen möglicherweise nicht alle relevanten VOCs vollständig oder gleich gut.
- Keine einheitliche toxikologische Basis für die Summenbildung: Die Addition der Konzentrationen verschiedenster VOCs zu einem Summenwert ist toxikologisch fragwürdig, da unterschiedliche Substanzen unterschiedliche Wirkmechanismen und Potenzierungen haben können. Eine einfache Summe berücksichtigt diese komplexen Wechselwirkungen nicht.
- Störfaktoren und Umwelteinflüsse: Die VOC-Konzentration kann stark von Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Lüftungsverhalten und der Bau- oder Nutzungsgeschichte des Raumes beeinflusst werden. Kurzzeitige Niedrigst- oder Spitzenbelastungen werden möglicherweise nicht erfasst, sind aber für die rechtliche und gesundheitliche Bewertung relevant.
- Fehlende klare Grenzwerte mit direkter gesundheitlicher Relevanz: Die vom UBA verwendeten Kategorien für TVOC sind eher als Indiz oder grobe Orientierungshilfe gedacht und weniger als harte Grenzwerte, die eine direkt ableitbare gesundheitliche Wirkungsschwelle haben. Dies kann wie schon oft zu Unsicherheiten bei der Interpretation von Messergebnissen führen.
- Fokus auf Summenwert lenkt von Einzelstoffanalysen ab: Die Konzentration auf den TVOC-Wert kann dazu führen, dass die detaillierte Analyse und Bewertung einzelner, potenziell gefährlicher Substanzen vernachlässigt wird.
- Kritik an der Ableitung der 2 TVOC-Referenzwerte: Auch die Ableitung der TVOC-Referenzwerte (früher: 5 TVOC-Leitwerte) selbst ist in der Fachwelt nicht unumstritten, da sie auf Passiv-Raumluftmesswerten und subjektiven Beschwerdeangaben basiert und nicht auf toxikologischen und epidemiologischen Studien.
Aufgrund der bereits genannten Problematik sind die TVOC-Referenzwerte als Kriterium zur Beurteilung der Innenraumluftqualität und der Gesundheitsverträglichkeit ungeeignet. Experten fordern stattdessen eine stärkere Fokussierung auf die Messung und Bewertung relevanter Einzelstoffe sowie die Berücksichtigung der gesamten Raumklima- und Expositionssituation und möglicher Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Innenraumluftschadstoffen. Obwohl die Wirkung einzelner natürlicher Holzemissionen bereits erforscht ist, fanden die potenziell entlastenden toxikologischen Ergebnisse im Richtwertkatalog des UBA/AIR 2025 bisher keine Berücksichtigung.
Autor: Karl-Heinz Weinisch
Literaturverzeichnis:
Adedeji, O. H., Adedeji, A. A., & Betiku, E. (2020). Sources and control of volatile organic compounds in indoor air: A review. Building and Environment, 186, 107348.
Brown, S. K. (2017). Indoor volatile organic compounds: A review of sources, concentrations, and health effects. Indoor Air, 27(2), 442-463.
DIN EN ISO 16000-3: Innenraumluftverunreinigungen - Teil 3: Bestimmung von Formaldehyd und anderen Carbonylverbindungen in der Innenraumluft und in Prüfkammeremissionen - Verfahren mit der Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie (HPLC).
DIN EN ISO 16000-6: Innenraumluftverunreinigungen - Teil 6: Bestimmung von VOC in der Innenraumluft und in Prüfkammeremissionen auf Tenax®-Sorptionsröhrchen, thermischer Desorption und Gaschromatographie mit Massenspektrometrie.
AgBB: Gesundheitliche Bewertung von Emissionen aus Bauprodukten (aktuelle Fassung). Dieses Schema legt Kriterien und Prüfverfahren für die VOC-Emissionen von Bauprodukten fest und ist in Deutschland maßgeblich.
Umweltbundesamt: Richtwerte für die Innenraumluft (aktuelle Fassung). Enthält Richtwerte für verschiedene VOC und andere Schadstoffe in der Innenraumluft.
Bundesgesundheitsbl 2025 · 68:190–200 https:// doi.org/ 10.1007/ s00103- 024- 03999-y Online publiziert: 3. Januar 2025 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, Nature 2025 Bekanntmachung des Umweltbundesamtes Bewertung von chemischen Innenraumluftverunreinigungen auf der Grundlage von Messergebnissen Leitfaden des Ausschusses für Innenraumrichtwerte ( AIR)VDI 4300 Blatt 1 bis diverse: Messung von Innenraumluftverunreinigungen. Diese Richtlinienreihe behandelt verschiedene Aspekte der Innenraumluftmessung, TVOC einschließlich VOC.
Kromann, C. B.; Wilkins, C. K.; Larsen, S. T.; Nielsen, G. D.: Sensory irritation and VOC exposure: a critical review of human experimental studies. Archives of Toxicology, 2015, 89(5), 535-565.
Langer, S.; Bekö, G.; Clausen, G.: Ventilation rates and perceived air quality in relation to VOC emissions from building materials: A review of human exposure studies. Building and Environment, 2016, 105, 143-155.
Schindler, J.; Wiesmüller, G. A.; Abel, J.: Mixture toxicity of indoor volatile organic compounds: Additivity or synergism? A critical review. Environmental Health Perspectives, 2006, 114(1), 11-17. (Betont die Komplexität von VOC-Gemischen und die Grenzen von Einzelstoff-Richtwerten).
Erarbeiten eines objektiven Verfahrens unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Holz und Holzwerkstoffen bei der Bewertung ihres Einflusses auf die Innenraumluftqualität (HoInRaLu); https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn062604.pdf
Gesundheitliche Bewertung von Emissionen aus Holz und Holzprodukten in Innenräumen mittels experimenteller toxikologischer Untersuchungen und humanbasierter Beobachtungen (GesundHOLZ 2019); https://www.fnr.de/index.php?id=11150&fkz=22011015
Salthammer Tunga, „TVOC-Revisited“ in Environmental International 167 (2022) 107440, Fraunhofer WKI, Department of Material Analysis and Indoor Chemistry, Bienroder Weg 54 E, 38108 Braunschweig
GerES V – Die Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit vom Umweltbundesamt (UBA) und Robert Koch-Institut (RKI) von Kindern und Jugendlichen 2014-2017 konzentrierte sich auf die häusliche Umgebung der 2.731 Kinder und Jugendliche. Im Rahmen der Innenraumluftmessungen wurden demnach verschiedene Arten von Wohngebäuden untersucht.